Zwei-Klassen-Medizin oder Systemrettung? Warum die Zwangsvereinigung von Privatversicherten und Gesetzlicher Krankenversicherung der falsche Weg ist


Ein System am Limit

Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) steht am Abgrund. Milliardenlöcher, überlastete Ärzte, überforderte Pflegekräfte – und das bei steigenden Beiträgen. Im Gegenzug florieren die privaten Krankenversicherungen (PKV): bessere Leistungen, motiviertere Leistungserbringer, wirtschaftlich stabilere Bilanz. Jetzt fordern manche Politiker: „Alle in die GKV!“ – eine Einheitsversicherung für alle, Abschaffung des dualen Systems.
Doch dieser Vorschlag ist nichts anderes als ein ökonomisches Himmelfahrtskommando.


Teil 1: Die kranke Realität der Gesetzlichen

Die GKV basiert auf dem Solidaritätsprinzip. Jeder zahlt einkommensabhängig, jeder bekommt im Prinzip die gleiche medizinische Grundversorgung. Doch genau hier beginnt das Problem:


Die Beiträge steigen, die Leistungen sinken.

Warum funktioniert die GKV nicht mehr?

  1. Kostenexplosion durch Demografie: Immer mehr Alte, immer weniger Junge – bei gleichbleibender Beitragsbasis.
  2. Gratismentalität: Familienversicherung ohne Mehrbeitrag, kein Anreiz zu Eigenverantwortung.
  3. Leistungsbudgetierung: Ärzte erhalten pauschal rund 23 € pro Quartal und Patient – unabhängig davon, wie oft jemand kommt oder wie aufwendig die Behandlung ist. Dafür steht nicht einmal ein Handwerker vom Sofa auf.
  4. Intransparenz: Patienten sehen keine Rechnungen, spüren keine Kosten – und haben entsprechend wenig Wertschätzung für medizinische Leistungen.
  5. Bürokratie-Overkill: Ärzte und Therapeuten verbringen mehr Zeit mit Abrechnungsformularen als mit Patienten.
  6. Mangelnde Innovationsanreize: Medizinische Geräte, Medikamente, neue Verfahren – alles wird gedeckelt. Fortschritt wird ausgebremst.

Teil 2: Warum die Private Krankenversicherung funktioniert

Die PKV funktioniert nach dem Versicherungsprinzip: Leistung nach Tarif, Eigenverantwortung durch Selbstbeteiligung, klare Kalkulation nach individuellem Risiko – wie jede andere funktionierende Versicherung auch.
Das Ergebnis:

  • Kurze Wartezeiten, auch bei Fachärzten
  • Individuelle Diagnostik und Therapie
  • Zugang zu modernen Therapien und innovativen Medikamenten
  • Transparenz: Der Patient erhält eine Rechnung und erfährt: Was kostet eigentlich meine Gesundheit?
  • Selbstbeteiligung sorgt für Achtsamkeit: Wer spürt, dass jede Leistung auch einen Preis hat, konsumiert bewusster.

Teil 3: Was leisten Privatversicherte für das System?

Privatversicherte sind keine Belastung – sie sind die Rettungsanker des Systems. Sie sorgen:

  • für Quersubventionierung vieler Arztpraxen, die ohne PKV-Einnahmen schlichtweg schließen müssten,
  • für auskömmliche Honorare bei Ärzten, Physiotherapeuten, Logopäden, Heilpraktikern, Psychotherapeuten – die bei GKV-Patienten nicht kostendeckend arbeiten können,
  • für Investitionen in medizinische Infrastruktur, Geräte, Digitalisierung, Weiterbildung.

Beispiel gefällig?
Ein Hörakustiker muss einem GKV-Versicherten für ca. 700 € ein Hörgerät anpassen, einstellen, Service und Wartung für sechs Jahre inklusive. Der tatsächliche Zeitaufwand, inklusive Anamnese, Hörtest, Otoplastik, Nachjustierungen und Beratung: oft über 15 Stunden Arbeit. Das ist nicht wirtschaftlich – das ist Selbstausbeutung.


Teil 4: Der fatale Irrweg – Zwangseinheit statt Wettbewerb

Was passiert, wenn alle Privatversicherten gezwungen werden, in die GKV zu wechseln?

  • Finanzielle Schieflage wird nicht behoben, sondern verschärft – denn Privatversicherte sind häufig einkommensstark und verursachen im Schnitt weniger Kosten.
  • Ärzte und Therapeuten verlieren Anreize, sich weiter fortzubilden oder hochwertige Behandlungen anzubieten – da GKV-Vergütung nicht kostendeckend ist.
  • Abwanderung in die Selbstzahler-Modelle: Wer es sich leisten kann, wird private Leistungen selbst bezahlen – das bedeutet eine neue Zwei-Klassen-Medizin, nur ohne faire Versicherungsstruktur.
  • Infrastruktur bricht ein – insbesondere im ländlichen Raum, wo viele Praxen sich nur durch PKV-Patienten halten können.

Teil 5: Was die Gesetzliche lernen MUSS

Die GKV muss nicht zerstört werden – sie muss reformiert werden. Dazu gehört:

1. Selbstbeteiligung einführen

  • Wer Leistungen nutzt, muss in gewissem Umfang mitzahlen – nicht zur Strafe, sondern zur Wertschätzung.

2. Kopfpauschale einführen

  • Jeder Mitversicherte kostet Geld. Eine pauschale Familienversicherung ist ökonomisch unsinnig. Wer echte Fairness will, muss auch hier Verantwortung einfordern.

3. Rechnungen offenlegen

  • Patienten müssen wissen, was ihre Behandlung kostet. Nur so entsteht ein Gesundheitsbewusstsein – und Wertschätzung.

4. Anreize statt Budgetierung

  • Ärzte brauchen wieder wirtschaftliche Perspektiven. Wer mehr leistet, soll auch mehr verdienen dürfen – wie in jeder anderen Branche auch.

5. Digitale Transformation und Entbürokratisierung

  • Schluss mit Formularwahnsinn. Jeder Pfleger, Therapeut und Arzt braucht mehr Zeit für Menschen, nicht für Excel und Fax.

Fazit: Gerechtigkeit heißt nicht Gleichmacherei

Eine Einheitskasse klingt sozial – ist aber realitätsfern. Das duale System aus GKV und PKV ist keine Ungerechtigkeit, sondern ein Balanceakt zwischen Solidarität und Leistung.


Wer die PKV abschafft, schadet der GKV. Wer beide stärkt, rettet das System.


Provokante Schlussfrage:

Wenn ein Arzt 23 € im Quartal für einen Patienten bekommt – was glauben Sie, was Sie wert sind?